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TEXTE

Alle Texte (c) Beate Vera
Abdruck/Auszüge nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin




Exportschlager


Es muss genetische Gründe haben, dass bei uns Deutschen akute Debilität auftritt, sobald es ums Schlangestehen geht.

Ohne komplizierte Kordelgassen, die uns den Weg vorschreiben, oder mehrere Schilder, die auf Diskretion hinweisen, sind wir aus dem Selbst heraus nicht in der Lage, uns ordentlich und rücksichtsvoll anzustellen. Am Bus wird gedrängelt und geschubst, was das Zeug hält. In S- und U-Bahn ist sich jeder selbst der Nächste. Lynchen möchte der vor den Schaltern lungernde Mob am liebsten den ausgebufften Schlangenspringer, dem es gelingt, von seiner verdient aussichtslosen Position ganz hinten an die frisch geöffnete Kasse zu hechten.

Der britische Freund auf Berlinbesuch ist fassungslos ob so viel Mangel an Manieren, stellt dann aber ein überraschendes Maß an Anpassungsfähigkeit unter Beweis: Mit einer geschickten Rechts-Links-Kombination schnellt er an dem wartenden Kundencluster vorbei und wird prompt als erster bedient. Breit grinsend ruft er:

"Vorsprung durch Technik!"



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Suburbia

 


Als Kind liebte ich die Gegend, in der ich aufwuchs. Wir konnten immer draußen spielen, es gab ein paar Kletterbäume, viel Freiheit, und auf den Straßen fuhren kaum zehn Autos. Es war auch ein bisschen verwunschen, so ganz im Süden der Stadt, direkt an der Grenze. 


Als Teenager habe ich sie gehasst, die Gegend, in der ich leben musste. Nichts war los dort. In die Stadt fuhr nur ein Bus, und der brauchte ewig. 


Als ich im Ausland lebte, vermisste ich mein Zuhause. Die Ruhe, das Grün, ja, auch die geordneten Abläufe am Stadtrand. Die Spießigkeit. Ich zog nach Zehlendorf. Da war es wunderschön, aber ich kam nie dort an. Vielleicht weil der Mensch das Reihenhaus verlässt, das Reihenhaus aber nie den Menschen.


Jetzt lebe ich wieder in meinem alten Kiez, und mein Sohn wächst hier auf. Er liebt es hier, er kann immer draußen spielen, es gibt Bäume, viel Freiheit, und die Autos müssen 30 fahren. Es ist auch ein bisschen verwunschen, so ganz im Süden der Stadt, direkt neben Teltow. In ungefähr sechs Jahren wird er sie hassen, diese Gegend, denn hier ist immer noch nichts los. 


Genau das liebe ich so an dem Vorstadtkiez, in dem ich aufwuchs und nun wieder zu Hause bin. 


Let’s take a ride and run with the dogs tonight.



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Sincerity


Eine kleine bunte Schreibwarenwelt am südlichen Berliner Stadtrand. Im Laden gibt es alles, was das papierne Herz begehrt, und Lotto kann man auch spielen. 


Es ist voll, mittendrin eine Mutter mit zwei Kindern, das kleinere legt schon eine Weile einen ganz gepflegten Tobsuchtsanfall hin. Es ist laut und irgendwie unübersichtlich. Wir lungern an der Kasse herum, um unseren Einkauf zu bezahlen. Ein Mann mit einem Stapel Lottopapier tritt heran, wartet nicht, bis er dran ist, sondern erklärt dem Besitzer, dass ihm zehn Euro Wechselgeld fehlten. Wir werden etwas ungeduldig, so was dauert ja immer, und wir müssen weiter zum Training. Der Besitzer zieht seufzend aber umgehend einen Zehner aus seiner Kasse. Der Wutanfall auf knapp einhundert Zentimeter steigt auf noch höhere Dezibel. 


Wir zahlen und sind gerade im Begriff zu gehen, da kommt der Lottomann wieder und gibt dem Besitzer den Zehner zurück. Sein Wechselgeld hatte sich unter den Spielquittungen verborgen, er bäte um Entschuldigung. Wir lächeln. 


The road we need to travel for a better way of life.



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Noise 


Eine Siedlung von Reihenhäusern am südlichen Stadtrand Berlins an einem Sonnabendmittag. Der Großeinkauf ist erledigt wie man selbst auch. Nur noch auf der Liege entspannen, endlich scheint die Sonne, endlich sind der lange, olle Winter und diese lange, olle Woche vorbei. 


Die Vögel zwitschern munter, ein laues Lüftchen weht, der liebevolle Ehemann bringt den Espresso mit aufgeschäumter Milch und zieht sich dann mit dem Sohn auf den Fußballplatz zurück. Mindestens anderthalb Stunden voller Ruhe, Entspannung und Frieden auf Erden liegen vor einem. Bis, ja, bis das erste Rattern die Ruhe stört. Es sind nur kleine Gärten, das Mähen wird nicht lange dauern. 


Ein zweites Sprotzen und blechernes Blubbern, und der nächste Rasenmäher tönt. Die Kakophonie nimmt ihren Lauf, und es folgt der Rückzug ins Wohnzimmer. Erst völlig genervt, weil die Ruhe vorbei ist, doch dann: ein breites Grinsen erhellt das Gesicht. Niemand ist zu Hause, nebenan kann sich keiner über Lärm beschweren. Ein Tanz durchs Haus und so lauter wie schlechter Mitgesang aller Lieblingssongs: The Roots, Paul Weller, Wild Beasts und Aimee Mann. Schon ist das ganze Haus gestaubsaugt, und Haus und Selbst voll bester Laune. Mann und Sohn kommen heim. 


I'd rather be in this noise.




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Soul Cake


Im Winter in Berlin kann man schon mal schlecht draufkommen.


Es ist hier normaler Weise grau, nass und draussen sehr ungemütlich. Dazu kommt in der Regel das Gruseln vor dem Advent, der einem aber auch alles abverlangt: Ein Termin jagt den anderen, Weihnachtsgeschenke müssen a) erdacht und b) besorgt werden, dazu sind wir ja alle o, so besinnlich drauf.


Und machen Jahr auf Jahr alles falsch, was diese wunderbare Zeit uns eigentlich sagen will: Die Natur legt ab, macht dicht, bereitet sich vor auf eine karge Zeit. Wir indes? Wir sehen der Völlerei entgegen. Wir werden es wieder übertreiben mit Geschenken, mit dem Essen, dem Trinken und je nach Disposition mit anderen Dingen. Wir werden unserem Körper keine Ruhe gönnen. Unserer Seele schon gar nicht. An die zu denken, dafür haben wir gar keine Zeit. Das machen wir, wenn alles – hoffentlich! – gut gelaufen ist. Dann aber, dann nehmen wir uns die großen Ziele vor. Denn im Neuen Jahr wird sicher alles besser.


Nur, um uns dann ein Jahr später in demselben Hamsterrad wiederzufinden.


Machen wir es doch dieses Jahr mal anders und folgen dem natürlichen Rhythmus. Schalten wir einen Gang runter. Kaufen wir kein unnützes Zeug, nur, um irgend etwas zu schenken. Chatten wir nicht. Treffen wir einander und schenken einander – Zeit!


Halten wir inne und tun es der Natur gleich. Es wird kalt werden. Teilen wir Wärme. Mit denen, die wir lieben. Und geben ein bisschen ab an diejenigen, die sie brauchen. Jeder wird im Umfeld einen Menschen haben, der gerade jetzt davon etwas nötig hat. Schauen wir uns um, schauen einmal nicht auf uns selbst und machen uns ernste Gedanken darüber, wem wir wie eine echte Freude machen können. Es ist eigentlich sehr einfach ...


An apple, a pear, a plum or a cherry, any good thing to make us all merry.



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Going Underground


Der Kollege auf dem Platz schräg gegenüber setzt die Flasche Sternburg an. Seine dickliche Golden-Retriever-Hündin läuft sinnlos, wenn auch irgendwie niedlich, durch den Waggon der U2. Herrchen rückt derweil die Welt gerade: Schröder issanallmschuld, ditismaklaa, da mussmansich oochma ainnan.Und die Merkel, die jibt unsa janzet Jeld aus, oochnich bessa


Der junge Mann ihm gegenüber lächelt und nickt. Ich bin erst vor ein paar Stationen eingestiegen, er scheint schon länger zuzuhören. Dabei streichelt er die beleibte Hundedame jedes Mal, wenn sie an ihm vorbeistreift. Ich bewundere seinen Langmut. Sicherlich fährt er nicht so häufig U-Bahn wie ich. Er gibt mir stille Hoffnung auf meinem langen, lauten Heimweg. 


Stadtmitte steigen die Retrieverlady und ihr Hopfenpolitikwissenschaftler aus. Ich grinse den jungen Mann neben mir an und sage spontan: "Sie sind aber nett..." Er lächelt zurück und erwidert: "I'm sorry...have I missed Potsdamer Platz?“


… and I’m so happy and he’s so kind.



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I miss her

 

I miss her a lot

 

I miss her laughter

 

I miss her raising her glass with that mischievous smile

 

I miss her for ever after

 

I miss her most every while

 

I miss her positive energy

 

I miss her cranky ways

 

I miss her warm sympathy

 

I miss her all through my days

 

I miss her a lot

I miss her


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Love is the Drug
(Abecedarius)



Alles wird gut

Bis hierhin läuft es ja nicht schlecht.

Chaotisch zuweilen

Durcheinander oft

Etwas unstrukturiert und ungestüm

Fast wild und in jedem Fall

Genial neu und unbekannt

Hab so was noch nie erlebt

In keiner Phase meines Lebens

Jeder Tag ganz neu

Keine Woche gleicht der anderen

Lust, Verlangen, Sehnsucht

Misstrauen, Vertrauen, Sich trauen

Nur eins nicht: Angst

Ohne Reue, ohne Pflichten

Paradox und doch konform

Quälend manchmal

Rührend oft

Sinnlich, mich besinnend

Täglich sinnvoll

Und das Leben neu betrachten

Verwegen und mutig

Widerstände umgehen 

Xenomorph zu lange

Yoyo-Leben, keine Linie

Zutiefst zufrieden. Jetzt.


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